von Robert Finke
Seit einigen Jahrhunderten hat sich das westliche Weltbild auf eine Sichtweise eingependelt, die strikte, lineare Kausalität als Grundsubstanz unserer Realität voraussetzt und dem subjektiven, nicht mit Instrumenten zu erfassenden Erleben mit äußerster Skepsis entgegentritt. Mit aller gebotenen Vorsicht lässt sich jedoch eine allmähliche, subtile Änderung dieser Sichtweise erkennen. Ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, dass die Forscher und natürlich auch die Therapeuten der Zukunft wieder zunehmend lernen, das fast vollständig im Dunklen liegende Spektrum ihrer Intuition als Instrument zu nutzen, mit dem sie sich buchstäblich in andere Systeme hineinversetzen können.
Familienfelder sehe ich als strukturierende Informationsfelder, die jenseits unserer Raum-Zeit-Begriffe angesiedelt sind und eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen. Diese haben viel mit einem Bewusstseinszustand gemein, der sich durch assoziative Sprünge, mythisches und traumähnliches Denken auszeichnet. Wir treten mit diesen Feldern über Resonanzen in Kontakt.
Im Gegensatz beispielsweise zu noch eng mit dem Schamanismus verbundenen Kulturen ist uns sehr viel Wissen darüber verloren gegangen. Es existieren weder exakte Messinstrumente noch ist ein im strengen Sinne wissenschaftliches Vorgehen möglich. Ein solches Vorgehen muss sich per Definition auf eine Aufspaltung zwischen Subjekt und Objekt, auf exakte Reproduzierbarkeit und auf Messwerte stützen. Gerade das funktioniert bei Aufstellungen und beim Ergründen der symbolischen Informationen, die mit Familiensystemen zu tun haben, nicht.
Familiensysteme, aber auch Individuen, Rassen und Gesellschaften scheinen von einem Informationsfeld umgeben und beeinflusst zu werden, welches starke Ähnlichkeit mit den morphischen und morphogenetischen Feldern des Biologen Rupert Sheldrake hat. Der 3 Einfachheit halber nenne ich ein solches Feld Familienfeld; es ist jedoch wie gesagt nicht darauf zu reduzieren. Was dieses Feld genau ist und in welchen Dimensionen es angesiedelt ist, weiß niemand. Es funktioniert als eine Art kollektives Gedächtnis, welches nicht an unsere Raum- und Zeitbegriffe gebunden ist. In diesem Gedächtnis sind alle Ereignisse der Vergangenheit gespeichert. Dieses Feld ist aber noch mehr. Es scheint eine Art Eigenleben zu besitzen. Darin ähnelt es in gewisser Weise dem Phänomen der Emergenz in der Natur. Kleinere Einheiten – das können Atome, Moleküle, Magnete, Pilzsporen, Insekten oder Menschen sein – schließen sich zusammen und bilden sich spontan selbst organisierende Hierarchien, die plötzlich autonome Verhaltenseigenschaften aufweisen.
Zwischen Familienfeldern und morphogenetischen Feldern besteht eine enge Verwandtschaft: Es existiert eine Zielgerichtetheit. Während diese Zielgerichtetheit in Sheldrakes Feldern dem „Finden“ einer für einen Organismus besonders geeigneten (dreidimensionalen) Form entspricht, ist meine Vermutung, dass dies bei Familienfeldern und Individualfeldern die Abfolge von Bewusstseinserfahrungen ist. Das impliziert natürlich auch so etwas wie ein „Eigenbewusstsein“ des Feldes. Das Feld wechselwirkt mit seinen Einheiten –also mit uns. Wir werden von ungelösten Themen der Vorfahren beeinflusst, dienen jedoch auch einer evolutionären Weiterentwicklung der Gesamtheit. Das geschieht nicht in einer strengen „von oben nach unten“-Hierarchie. Auch Individualfelder funktionieren nach den genannten Prinzipien, sind nicht mit dem rationalen Verstand zu fassen und befinden sich in einem Entwicklungsprozess. Nach Art einer Resonanz werden Individualfeld und Familienfeld möglicherweise miteinander durch gemeinsame Themen für eine gewisse Zeit verschränkt, um sich dann wieder zu trennen.
Diese Felder funktionieren nach „Gesetzen“, die sich völlig von unserer Logik unterscheiden. Das Eigenbewusstsein könnte sich durch archetypische und mythische Bilder ausdrücken, die uns auf einer sehr archaischen Bewusstseinsebene ansprechen und möglicherweise die Grenze dessen sind, was wir noch mit unserem Gehirn erfassen können. Ich glaube, dass Mythen Bestandteile von Informationsfeldern darstellen, die in anderen Dimensionen existieren als den uns bekannten. Wir nehmen sie als primitiv und märchenhaft wahr, weil wir sie in ihrer Mehrdimensionalität nicht verstehen.
Auf der Ebene dieser Felder sind Symbole, Assoziationen und assoziative Sprünge, die denen in Träumen oder Mythen gleichen, so grundlegend wie für uns konkrete materielle Dinge. Mythen scheinen psychische Urmuster, ähnlich den Archetypen C. G. Jungs, zu reflektieren und sind für mich deswegen von so großer Bedeutung, da sie ebenfalls sehr oft eine Zielgerichtetheit besitzen (Die Reise des Helden, zyklische Weltalter etc.), die in ihrer verschlüsselt-symbolischen Form Bewusstseinsprozesse beschreiben. Diese Muster beeinflussen uns. Was wir dann als konkrete Auswirkung erfahren, ist eine Filterung dieser Logik durch die Maschen unseres an Kausalität gebundenen Verstandes. Mythen sind dynamische Archetypen, die nicht fassbare innerpsychische Prozesse beschreiben, welche sich uns nur über Bilder mitteilen können. Ihre Zielgerichtetheit, also der Ablauf von Bewusstseinserfahrungen, ist für uns nur fragmentarisch am Familiensystem oder auch am eigenen Lebensweg zu erkennen. Die Art und Weise, wie neue Bewusstseinsinhalte auf der Ebene unseres eigenen Lebens und dem der Familie zeigen könnten, habe ich im nächsten Abschnitt skizziert.
Familienfelder unterscheiden sich vollkommen von anderen uns bekannten Feldern, da sie mit psychischen Begriffen arbeiten: mit Sinn, Symbolen, Emotionen, Synchronizitäten, mit bewusstem Erleben – kurz mit all dem, was die Physik vollkommen ausgeklammert hat. Dennoch existieren Ähnlichkeiten.
Es ist ein allgemeines Prinzip der Natur, dass die Wechselwirkung zwischen Feldern und Materie auf rhythmischen Mustern beruht. Diese rhythmischen Muster sind vielgestaltig. Beispielsweise wechselwirken Quantenfelder mit Materie, indem Elektronen oder Photonen mit einer bestimmten Schwingungsfrequenz ausgesandt oder absorbiert werden. Radiowellen, also elektromagnetische Felder, regen die Elektronen in Antennen zum Schwingen an, wodurch Information übertragen wird. Sheldrakes morphogenetische Felder beeinflussen die rhythmischen Prozesse der Zellteilung und anderer biologischen Zyklen. Meine These ist, dass auch Familienfelder diesem Prinzip folgen. Ich bin der Ansicht, dass wir dann am besten mit diesen Feldern in Resonanz gehen, wenn wir unseren Bewusstseinszustand auf die rhythmische Struktur des Feldes abstimmen. Das ließe sich gezielt trainieren und eröffnet damit einen Zugang zu einem völlig neuen Verständnis der Felder.
Welcher Art Rhythmik liegen Familien- und Individualfeldern zugrunde?
Sie ist im Vergleich zu einfachen Schwingungen schwerer zu begreifen. Am ehesten nähert man sich ihr erneut über Mythen und Träume. Interessant ist, dass Mythen eine rhythmische und auch eine zyklische Struktur besitzen. Die Zyklen sind beispielsweise an diversen Schöpfungsmythen zu erkennen oder an der Reise des Helden. Die Quintessenz ist sehr vereinfacht gesagt: Etwas spaltet sich aus der Einheit in Teile und muss eine Reihe von Bewusstseinserfahrungen machen, die die Teile wieder zur Einheit führen. Das ist jedoch kein geschlossener Kreislauf, sondern ähnelt einer Spiralbewegung. Die Einheit der „nächsthöheren Stufe“ ist um Erfahrungsprozesse reicher geworden. Um einen Eindruck von der rhythmischen Struktur und von dem auf diese rhythmischen Muster abgestimmten Bewusstseinszustand zu bekommen, kann man den Vergleich eines sachlichen Textes mit einem Gedicht heranziehen. Eine poetische Sprache ist viel eher dem Erfassen eines Traumes oder Mythos angemessen als eine lineare Erzählweise. Gedichte besitzen eine rhythmische Struktur, eine gewisse Symmetrie. Die Anordnung von Versen und Wiederholungen an sich besitzt einen Rhythmus, der ganz anders ist als die lineare Abfolge von Wörtern in einer nüchternen Aussage. Nicht umsonst existieren zahllose Mantren und Liturgien in nahezu allen Religionen, denen man bewusstseinsverändernde Wirkung nachsagt. Nicht die konkrete Aussage eines Gedichtes, die sich ja oft gar nicht rational erfassen lässt, ist entscheidend, sondern die Vielgestalt von Assoziationen, die sich aus den Metaphern und ihrer Verknüpfung untereinander ergeben. Beim Lesen stimmt sich unser Bewusstsein auf das Wahrnehmen der sich aus den Assoziationsketten bildenden inneren Bilder und Eingebungen ein. Ich glaube, dass Mythen ganz ähnlich wie Gedichte angeordnet und zu lesen sind. Ich selbst bemerke beispielsweise eine vom Lesen des Gilgamesh-Epos ausgehende ungeheure archaische Kraft. Die Zeilen lösen innere Schwingungen aus, die ich nicht näher lokalisieren kann. Das unterscheidet sich in seiner Wirkung völlig vom Lesen eines Romans. Man kann nun den Prozess der Resonanz mit Familienfeldern etwas anschaulicher begreifen, wenn man die Wahrnehmungsmechanismen im Gehirn als Analogie heranzieht. Aus der Neurobiologie weiß man, dass Wahrnehmung und Sinnbildung hochgradig dynamische, über das gesamte Gehirn verstreute Vorgänge sind. Verschiedene Ensembles von Nervenzellen schließen sich zusammen und verbinden Teilaspekte eines mit dem Auge erblickten Gegenstandes zu einem Ganzen.
Nervenzellen „erkennen“, dass sie sich, um eine kohärente Wahrnehmung zu erzeugen, mit anderen zu Ensembles zusammenschließen müssen, indem sie zueinander in Resonanz gehen. Ensembles von Nervenzellen bilden ein kollektives rhythmisches Muster, indem sie synchron zueinander elektrische Spannungsschwankungen mit einer definierten Frequenz produzieren. Das ist fast, als würden sie plötzlich in ein gemeinsames Lied einstimmen. So gibt es spezifische Ensembles, die nur auf horizontale Linien reagieren, andere nur auf vertikale. Ein Apfel wird im Gehirn zum Apfel zusammengesetzt, indem die Ensembles, die seine Teilaspekte kodieren, sich zusammenfinden. Sie suchen unter den Abermillionen anderen Ensembles nach denen, deren kollektives rhythmisches Muster eine eng benachbarte Frequenz aufweist. Dieses Absuchen nach Resonanzfrequenzen ist ein assoziativer Prozess. Ein Ensemble assoziiert seine Verwandtschaft mit einem anderen, indem es die Ähnlichkeit seiner eigenen Frequenz mit der des anderen erkennt. Ist nun das Bewusstsein auf die Rhythmik einer gedichtähnlichen, assoziationsreichen Sprache abgestimmt anstatt auf rationale Logik, könnte genau diese Rhythmik die Ähnlichkeit darstellen, die zur rhythmischen Struktur von Familienfeldern besteht. Meine Erfahrung in Aufstellungen als Stellvertreter ist: wenn ich mich dem Springen der Assoziationsketten „einfach“ überlasse, anstatt linear und rational zu denken, bemerke ich Sinnverbindungen, die mir davor nicht aufgefallen sind. Im nächsten Teil schildere ich eine eigene Erfahrung, in der meine Wahrnehmung alltägliche Gegenstände im Aufstellungsraum (Türen, Fenster,…) mit den Themen des Familienfeldes verknüpfte und überraschende Zusammenhänge entstehen ließ. Das Wechseln in diesen Wahrnehmungszustand scheint die Resonanzfrequenzen in mir zu ändern. Innere Bilder, Gefühle und Gegenstände zeigen plötzlich eine assoziative Verbindung. In Analogie zu Nervenzellensembles könnte man sagen, dass ich mich in die Spannungsschwankungen eines Ensembles eingeklinkt habe und nun plötzlich andere Ensembles wahrnehme, die mit einer ähnlichen Frequenz schwingen.
Meiner Ansicht nach stehen wir erst am Anfang des Erkennens, dass unser Bewusstsein viel weiter reicht, als wir glauben. Ich denke, wir sollten lernen, unsere Intuition ernst zu nehmen und sie als Instrument einzusetzen. Ich würde mich freuen, wenn dieser Text einige Anregungen zu diesem Prozess beisteuern kann.
von Dr. Robert Finke | robertfinke.com